7:30 Uhr Wecker klingelt... will noch nicht aufstehen... bin müde... kann kaum einen klaren Gedanken fassen.
7:45 Uhr Sollte jetzt wirklich aufstehen. Komm' sonst zu spät zur Arbeit... andererseits ist es nicht so schlimm wenn ich 10 Minuten später da bin.
8:10 Uhr Geduscht und bedeutend wacher bereite ich mir mein Frühstück zu, setze mich an den Esstisch und genieße eine heiße Schokolade mit Cornflakes oder Brötchen und Nutella (was recht ungewöhnlich für Kolumbien ist).
8:30 Uhr Nach dem Zähneputzen und dem Packen meines Rucksacks (Wörterbuch, was zu lesen, ein wenig Geld, Mittagessen, was zu trinken, ggf. meine Sportsachen, ein Pullover) mache ich mich die 400 Meter auf den Weg zum Colectivo (eine Art Kleinbus).
9:02 Uhr Ich komme in Santa Fe an. Das Viertel ist in ganz Kolumbien bekannt für Prostitution und Drogen. Bei Insidern aber auch dafür, dass die Fundación Renacer* (mein Arbeitgeber) dort zwei Ambulatorios unterhält. Eines ist für Kinder von "sehr jung" bis 12 Jahre und das andere für Kinder von 11-17 Jahren. Die Kinder, die in mehr oder weniger intakten Familien (meist nur ein Elternteil) leben kommen morgens oder Nachmittags und besuchen oft noch die Schule.
9:30 Uhr spätestens jetzt sind die ersten Kinder da und müssen irgendwie beschäftigt werden. Meine Arbeit ist hierbei ein Mix aus Kindergarten für ältere Problemkinder, Bildungsarbeit (gelegentlich auf dem niedrigsten Niveau) und Ansprechpartner bei Problemen. Die meisten haben nie gelernt Normen und Regeln zu akzeptieren, was die Arbeit um einiges erschwert.
10:30 Uhr Da eigentlich jeden Tag jemand kommt um mit den Kindern etwas zu machen (Kunst, Musik, Theater, Computer, ...) habe ich gelegentlich Zeit mir Hintergrundwissen über die Arbeit mit (kommerziell) sexuell ausgebeuteten Minderjährigen anzueignen oder mich anderen Aufgaben zu widmen. Zu den anderen Aufgaben zählen Dinge wie zum Beispiel Abrechnungen machen, die Hefter der Kinder und Jugendlichen (jedes Kind hat einen Hefter in dem mehr oder weniger alles steht was die Fundaión weiß) kontrollieren und ggf. ergänzen oder die zuständige Person auf das Fehlen von Informationen hinweisen, Talleres (span. Mehrz. Werkstatt, die Bildungseinheiten mit den Kindern) vorbereiten, Gruppenkonfrontationen bei Problemen beiwohnen, Einzelgespräche oder Gespräche im Beisein von anderen Lehrkräften, Psychologen oder Sozialarbeitern führen, mit der Koordiantorin reden wie man in bestimmten Situationen reagieren kann und und und
12:10 Uhr Die Kinder sind jetzt mit dem Essen fertig und einige von ihnen müssen in die Schule* gebracht werden. Die Schule liegt etwa 12 Minuten Fußmarsch, vorbei an Prostituierten, Drogendealern, Obdachlosen und Straßenkindern entfernt genau im Herzen Santa Fes.
12:30 Uhr Auf dem Rückweg von der Schule schaue ich meistens noch im anderen Ambulatorio vorbei. Die Kinder sind viel jünger und freuen sich immer einen Ausländer zu sehen, außerdem hole ich meist noch 2 Ältere ab die dort Mittag essen oder es gibt etwas anderes zu klären.
13:00 Uhr Der Nachmittag sieht in der Regel wie der Vormittag aus. Gelegentlich gehen wir noch in irgendeinen Park, ein Museum oder ins Theater. Meist wird das Ganze mit einem Eis kombiniert und stellt eine willkomene Abwechslung für die Kinder dar.
17:00 Uhr Ich verlasse die Arbeit meisten in Begleitung eines oder mehrerer Kinder. Ich kaufe den Kindern ein Busticket, achte darauf das sie auch wirklich einsteigen und gehe zu meinem Bus.
17:45 Uhr An drei Tagen in der Woche mache ich noch Sport in einem Fitnessstudio in der Nähe. Der Park ist ab sechs Uhr geschlossen und deshalb bin ich gezwungen ins Gimnasio (span. Fitnesstudio) zu gehen um zu laufen oder Kraftsport zu machen.
20:30 Uhr Je nach dem ob ich beim Sport war dusche ich mich oder sitze vor dem Computer, lese die Nachrichten, schreibe mit anderen Freiwilligen und in Deutschland Zurückgebliebenen, belese mich zu Themen die meine Arbeit betreffen, gucke Filme, lerne Vokabeln oder unterhalte mich mit meinem Gastvater ...
24:00 Uhr Ärgere ich mich das es schon so spät ist und ich morgen wieder so müde sein werde.
0:31 Uhr Ich schlafe tief und fest und sammle Kraft für einen neuen Tag in Kolumbien.
Die Arbeit gewinnt mit wachsenden Spanischkenntnissen an Reiz, allerdings hoffe ich, mich in den kommenden 10 Monaten auch noch anderen Aufgabenbereichen widmen zu können. Ich hatte ein sehr interessantes Gespräch mit der Koordinatorin der Investigación (span. Untersuchung) und hoffe, dass ich hier vielleicht an 2 Tagen in der Woche tätig werden kann.
Das tolle an der Zeit hier ist, dass ich merke welche Sachen mir im Leben wichtig sind. Laut John Lennon ist Leben das, was passiert, während man geschäftig anderen Dingen nachgeht und ich habe das Gefühl langsam zu wissen, welchen anderen Dingen ich geschäftig nachgehen möchte. Man sieht viel bewegendes, aufrüttelndes hier in Bogotá, als größte Wachstumsregion Südamerikas interessant für die unterschiedlichsten Menschen und alle erdenklichen Formen des Verbrechens und der Armut. Hier gelandet zu sein ist wahrscheinlich das Beste, was mir hätte passieren können. Das Leben und die Arbeit im Projekt tragen deutlich mehr zur Persönlichkeitsentwicklung und zum Verständnis des Lebens bei, als ein früher Studienbeginn es bei mir hätte tun können.
*Fundación Renacer ist eine Nichtregierungsorganisation die seit 1988 mit dem Ziel kommerzielle sexuelle Ausbeutung von Jungen, Mädchen und Jugendlichen zu verhindern in Kolumbien tätig ist. Sie widmet sich drei großen Aufgabenbereichen um dieses Ziel zu erreichen: Prävention (z.B. Aufklärung von Touristen in beliebten Urlaubszielen), umfassende Betreuung der Opfer (z.B. Heimunterbringung und Therapie) und Untersuchung des Sachverhaltes (z.B. allg. Untersuchungen zu Opferzahlen oder auch konkretes wie: auf welche Art geschieht Kontaktaufnahme, in welchen Clubs und Bars findet Prostitution von Minderjährigen statt,...).
Die konzeptionelle Perspektive und grundlegende Ethik ist die Respektierung, Verteidigung und Förderung der Rechte von Kindern (nach der UN-Kinderrechtskonvention). Z. Z. werden verschiedene Programme in den Städten Bogotá, Cartagena, Barranquilla und Arauca entwickelt und durchgeführt. (offizielle Darstellung der Organisation mit einigen Zusätzen meinerseits)
*Schule in Kolumbien: In Kolumbien gibt es kein 3-gliedriges Schulsystem wie in Deutschland sondern alle besuchen die Schule gemeinsam bis zur 11. Klasse. Ein Schüler hält sich Montags bis Freitags 4 bis 4 1/2 Stunden dort auf. Am Ende des letzten Schuljahres gibt es eine Prüfung und als Abschluss erhält man das sogenannte Bachillerato (span. Abitur). Dieser Abschluss ist natürlich keinesfalls mit dem deutschen Abitur sondern (aufgrund der wenigen Stunden und lediglich 11 Jahre) eher mit der mittleren Reife zu vergleichen. Wenn man allerdings genügend Punkte am Ende erreicht hat (und das nötige Kleingeld besitzt) darf man die Universität besuchen.
Es gibt drei Korridore um die Schule zu besuchen. Morgens von 8:00-12:00 Uhr, Nachmittags von 12:30-17:00 und Abends von 17:00 bis 21:00. Gründe hierfür sind die geringe Anzahl an Schulgebäuden, Lehrkräften und Unterrichtsmaterialien und die Tatsachen das viele tagsüber arbeiten müssen (deshalb die Möglichkeit von 17-21 Uhr).
Montag, 22. März 2010
Dienstag, 2. März 2010
Die Kleine...
...ist gerade mal 14 Jahre jung. Sie heißt Paola und wenn man sie fragt ob sie ihr bisheriges Leben als außergewöhnlich betrachtet sagt sie mit klarer, fester Stimme "Nein". Sie hat viele Freundinnen mit einem ähnlichen Lebenslauf. Sie weiß, dass das ein bisschen an ihrem Viertel liegt. "Aber im Norden passiert sowas auch. Anders. Es ist versteckter" sagt sie. Zwei ihrer Schwestern arbeiten weiter im Norden, bei den Reichen, als Hausmädchen. Die mussten auch Sachen machen, die sie nicht wollten. Aber die Arbeit zu verlieren ist schlimmer.
Weit rausgekommen ist Paola noch nie. Warum auch, Santa Fe, ihr Barrio, ganze zehn mal zehn Blöcke groß hat alles was man braucht. Eine Schule, ihre Freunde und eine ganze Menge kleiner Läden in denen man Cola kaufen kann, Bonbons und andere Sachen, die einen wieder glücklich machen wenn man traurig ist. Zumindest für eine Weile. Was noch in diesen Läden passiert ist, darüber spricht sie nicht gern. Angefangen hat es damit, dass ihre Tante ihr Süßgkeiten angeboten hat. Leckere Süßigkeiten, für die sie in ihren ersten 8 Lebensjahren nie genug Geld hatte. Dafür sollte sie Sachen mit dem Freund ihrer Tante machen. Den Mann hatte sie schon einige Male in der Wohnung ihrer Eltern gesehen. Als sie dann in dem kleinen Raum hinter der Ladentheke waren wollte sie nicht mehr. Er drohte ihr weh zu tun, also machte sie was er von ihr verlangte. Nach dem dritten Mal gab ihre Tante ihr zum ersten Mal Marihuana. Wie man das raucht hat Paola bei ihren Cousins gesehen. Es war gut um zu vergessen. Die Schmerzen und die Erinnerung an das, was sie jetzt immer häufiger machen musste. Ihre Tante wollte, dass sie auch Freundinnen aus der Schule fragte, ob sie mitmachen würden. Mitmachen bei dem, was ihre Tante die "heimlichen Treffen" nannte. Sie war jetzt manchmal zusammen mit ihrer Tante oder einer Freundin in einem Bett mit einem fremden Mann oder dem neuen Freund ihrer Tante.
Viel Geld bekam sie selten für das was sie machen musste, dafür aber jede Menge Drogen. Nicht nur Marihuana. Kleber, Acid, MDMA, Koks und Alkylnitrite hat sie ausprobiert. Alkylnitrite waren dabei am besten bevor sie sich mit den Männern traf und Marihuana rauchte sie oft danach. Den Kleber nahm sie wenn ihr Bauch vor Hunger schmerzte und MDMA oder Koks wenn sie nachts vor Müdigkeit kaum noch stehen konnte. Die Drogen halfen ihr ganz gut. Konzentrieren konnte sie sich nur noch schwer aber in der Schule war sie eh schon eine Ewigkeit nicht mehr. Ob das einer der Lehrer bemerkt? Vielleicht, vielleicht auch nicht. Und wenn schon, es fehlen ständig Kinder. Gemeldet hat sich nie jemand in der Wohnung ihrer Eltern.
Mit 13 hat sie dann Johanna kennen gelernt. Johanna arbeitet für eine Gruppe von Menschen, die Kindern wie Paola helfen wollen. Kurz darauf ist Paola in ein Heim umgezogen, ihre Tante hat sie jetzt schon fast ein Jahr nicht mehr gesehen und Drogen nimmt sie auch nicht mehr. Sie darf bald wieder zur Schule in die 6. Klasse gehen. Sie hat eine Menge verpasst aber Schule ist wichtig. Das weiß sie jetzt. Die Chancen eine Arbeit zu bekommen sind in ihrem Land zwar schlecht aber versuchen muss man es wenigstens. Wenn sie groß ist, will sie das selbe machen wie Johanna und Kindern helfen, die das erleben mussten, was ihr Leben 5 Jahre lang zur Hölle machte.
Ungefähr 9.000 km entfernt wächst ein anderes Mädchen auf. Sie ist 14 Jahre alt, wie Paola und auch die jüngste von 4 Geschwistern. Das andere Mädchen geht seit fast 9 Jahren ohne Unterbrechung zur Schule, lernt Querflöte spielen, hat grad ein Theaterstück mit ihrer Klasse einstudiert, ihre Eltern haben beide eine Arbeit, ein Haus und zwei Autos. Einer ihrer Brüder ist gerade in Paola's Land um Erfahrungen zu sammeln und eine Sprache zu lernen.
Er hat es sich ausgesucht für ein Jahr dort zu leben...
Weit rausgekommen ist Paola noch nie. Warum auch, Santa Fe, ihr Barrio, ganze zehn mal zehn Blöcke groß hat alles was man braucht. Eine Schule, ihre Freunde und eine ganze Menge kleiner Läden in denen man Cola kaufen kann, Bonbons und andere Sachen, die einen wieder glücklich machen wenn man traurig ist. Zumindest für eine Weile. Was noch in diesen Läden passiert ist, darüber spricht sie nicht gern. Angefangen hat es damit, dass ihre Tante ihr Süßgkeiten angeboten hat. Leckere Süßigkeiten, für die sie in ihren ersten 8 Lebensjahren nie genug Geld hatte. Dafür sollte sie Sachen mit dem Freund ihrer Tante machen. Den Mann hatte sie schon einige Male in der Wohnung ihrer Eltern gesehen. Als sie dann in dem kleinen Raum hinter der Ladentheke waren wollte sie nicht mehr. Er drohte ihr weh zu tun, also machte sie was er von ihr verlangte. Nach dem dritten Mal gab ihre Tante ihr zum ersten Mal Marihuana. Wie man das raucht hat Paola bei ihren Cousins gesehen. Es war gut um zu vergessen. Die Schmerzen und die Erinnerung an das, was sie jetzt immer häufiger machen musste. Ihre Tante wollte, dass sie auch Freundinnen aus der Schule fragte, ob sie mitmachen würden. Mitmachen bei dem, was ihre Tante die "heimlichen Treffen" nannte. Sie war jetzt manchmal zusammen mit ihrer Tante oder einer Freundin in einem Bett mit einem fremden Mann oder dem neuen Freund ihrer Tante.
Viel Geld bekam sie selten für das was sie machen musste, dafür aber jede Menge Drogen. Nicht nur Marihuana. Kleber, Acid, MDMA, Koks und Alkylnitrite hat sie ausprobiert. Alkylnitrite waren dabei am besten bevor sie sich mit den Männern traf und Marihuana rauchte sie oft danach. Den Kleber nahm sie wenn ihr Bauch vor Hunger schmerzte und MDMA oder Koks wenn sie nachts vor Müdigkeit kaum noch stehen konnte. Die Drogen halfen ihr ganz gut. Konzentrieren konnte sie sich nur noch schwer aber in der Schule war sie eh schon eine Ewigkeit nicht mehr. Ob das einer der Lehrer bemerkt? Vielleicht, vielleicht auch nicht. Und wenn schon, es fehlen ständig Kinder. Gemeldet hat sich nie jemand in der Wohnung ihrer Eltern.
Mit 13 hat sie dann Johanna kennen gelernt. Johanna arbeitet für eine Gruppe von Menschen, die Kindern wie Paola helfen wollen. Kurz darauf ist Paola in ein Heim umgezogen, ihre Tante hat sie jetzt schon fast ein Jahr nicht mehr gesehen und Drogen nimmt sie auch nicht mehr. Sie darf bald wieder zur Schule in die 6. Klasse gehen. Sie hat eine Menge verpasst aber Schule ist wichtig. Das weiß sie jetzt. Die Chancen eine Arbeit zu bekommen sind in ihrem Land zwar schlecht aber versuchen muss man es wenigstens. Wenn sie groß ist, will sie das selbe machen wie Johanna und Kindern helfen, die das erleben mussten, was ihr Leben 5 Jahre lang zur Hölle machte.
Ungefähr 9.000 km entfernt wächst ein anderes Mädchen auf. Sie ist 14 Jahre alt, wie Paola und auch die jüngste von 4 Geschwistern. Das andere Mädchen geht seit fast 9 Jahren ohne Unterbrechung zur Schule, lernt Querflöte spielen, hat grad ein Theaterstück mit ihrer Klasse einstudiert, ihre Eltern haben beide eine Arbeit, ein Haus und zwei Autos. Einer ihrer Brüder ist gerade in Paola's Land um Erfahrungen zu sammeln und eine Sprache zu lernen.
Er hat es sich ausgesucht für ein Jahr dort zu leben...
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