Dienstag, 2. März 2010

Die Kleine...

...ist gerade mal 14 Jahre jung. Sie heißt Paola und wenn man sie fragt ob sie ihr bisheriges Leben als außergewöhnlich betrachtet sagt sie mit klarer, fester Stimme "Nein". Sie hat viele Freundinnen mit einem ähnlichen Lebenslauf. Sie weiß, dass das ein bisschen an ihrem Viertel liegt. "Aber im Norden passiert sowas auch. Anders. Es ist versteckter" sagt sie. Zwei ihrer Schwestern arbeiten weiter im Norden, bei den Reichen, als Hausmädchen. Die mussten auch Sachen machen, die sie nicht wollten. Aber die Arbeit zu verlieren ist schlimmer.
Weit rausgekommen ist Paola noch nie. Warum auch, Santa Fe, ihr Barrio, ganze zehn mal zehn Blöcke groß hat alles was man braucht. Eine Schule, ihre Freunde und eine ganze Menge kleiner Läden in denen man Cola kaufen kann, Bonbons und andere Sachen, die einen wieder glücklich machen wenn man traurig ist. Zumindest für eine Weile. Was noch in diesen Läden passiert ist, darüber spricht sie nicht gern. Angefangen hat es damit, dass ihre Tante ihr Süßgkeiten angeboten hat. Leckere Süßigkeiten, für die sie in ihren ersten 8 Lebensjahren nie genug Geld hatte. Dafür sollte sie Sachen mit dem Freund ihrer Tante machen. Den Mann hatte sie schon einige Male in der Wohnung ihrer Eltern gesehen. Als sie dann in dem kleinen Raum hinter der Ladentheke waren wollte sie nicht mehr. Er drohte ihr weh zu tun, also machte sie was er von ihr verlangte. Nach dem dritten Mal gab ihre Tante ihr zum ersten Mal Marihuana. Wie man das raucht hat Paola bei ihren Cousins gesehen. Es war gut um zu vergessen. Die Schmerzen und die Erinnerung an das, was sie jetzt immer häufiger machen musste. Ihre Tante wollte, dass sie auch Freundinnen aus der Schule fragte, ob sie mitmachen würden. Mitmachen bei dem, was ihre Tante die "heimlichen Treffen" nannte. Sie war jetzt manchmal zusammen mit ihrer Tante oder einer Freundin in einem Bett mit einem fremden Mann oder dem neuen Freund ihrer Tante.
Viel Geld bekam sie selten für das was sie machen musste, dafür aber jede Menge Drogen. Nicht nur Marihuana. Kleber, Acid, MDMA, Koks und Alkylnitrite hat sie ausprobiert. Alkylnitrite waren dabei am besten bevor sie sich mit den Männern traf und Marihuana rauchte sie oft danach. Den Kleber nahm sie wenn ihr Bauch vor Hunger schmerzte und MDMA oder Koks wenn sie nachts vor Müdigkeit kaum noch stehen konnte. Die Drogen halfen ihr ganz gut. Konzentrieren konnte sie sich nur noch schwer aber in der Schule war sie eh schon eine Ewigkeit nicht mehr. Ob das einer der Lehrer bemerkt? Vielleicht, vielleicht auch nicht. Und wenn schon, es fehlen ständig Kinder. Gemeldet hat sich nie jemand in der Wohnung ihrer Eltern.
      Mit 13 hat sie dann Johanna kennen gelernt. Johanna arbeitet für eine Gruppe von Menschen, die Kindern wie Paola helfen wollen. Kurz darauf ist Paola in ein Heim umgezogen, ihre Tante hat sie jetzt schon fast ein Jahr nicht mehr gesehen und Drogen nimmt sie auch nicht mehr. Sie darf bald wieder zur Schule in die 6. Klasse gehen. Sie hat eine Menge verpasst aber Schule ist wichtig. Das weiß sie jetzt. Die Chancen eine Arbeit zu bekommen sind in ihrem Land zwar schlecht aber versuchen muss man es wenigstens. Wenn sie groß ist, will sie das selbe machen wie Johanna und Kindern helfen, die das erleben mussten, was ihr Leben 5 Jahre lang zur Hölle machte.

Ungefähr 9.000 km entfernt wächst ein anderes Mädchen auf. Sie ist 14 Jahre alt, wie Paola und auch die jüngste von 4 Geschwistern. Das andere Mädchen geht seit fast 9 Jahren ohne Unterbrechung zur Schule, lernt Querflöte spielen, hat grad ein Theaterstück mit ihrer Klasse einstudiert, ihre Eltern haben beide eine Arbeit, ein Haus und zwei Autos. Einer ihrer Brüder ist gerade in Paola's Land um Erfahrungen zu sammeln und eine Sprache zu lernen.

Er hat es sich ausgesucht für ein Jahr dort zu leben...

3 Kommentare:

  1. echt beeindruckend wie du das schilderst...aber toll so von deinem leben da stückchen mitzubekommen, auch wenn ich mich schon freu davon erzählt zu bekommen ;)

    Felix

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  2. Cord Bollenbach4. März 2010 um 03:01

    Hallo Vincent!
    Das ist schon erschreckend! Und es zeigt mir mal wieder auf welch hohem Niveau wir hier in Deutschland leiden, wobei hier natürlich auch nicht alles Gold ist was glänzt.
    Ich wünsche Dir viel Kraft um den Menschen und ihren Erfahrungen gerecht zu werden.

    Gruß Cord!

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  3. Hallo Vincent,

    schon eine Weile habe ich nicht mehr in deinen Blog geschaut ... umso mehr war ich nun beeindruckt all die neuen Sachen zu lesen.
    Du schilderst die Dinge und Erfahrungen wirklich sehr gut, man taucht beim Lesen für einen Moment in deine Welt, die du gerade erlebst, ein. Ich bin sehr froh, dass du diesen Weg gehst und uns alle daran teilhaben lässt!
    Ich wünsche dir weiterhin alles Gute, ein offenes Herz, offene Augen und einen klaren Verstand um all das aufnehmen zukönnen was du in der nächsten Zeit erleben wirst!

    Gruß aus Rostock
    Susi

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