Sonntag, 21. Februar 2010

Gib mir Gelassenheit, Dinge hinzunehmen, ...

 ...die ich nicht ändern kann; gib mir den Mut, Dinge zu ändern, die ich zu ändern vermag, und gib mir die Weisheit, das eine vom andern zu unterscheiden. (Friedrich Oetinger)
Ein Zitat, das mir in den letzten Wochen ans Herz gewachsen ist. Nachdem ich den zweiwöchigen Spanischkurs beendet hatte ging es mit der Arbeit los. Für mich war ein Projekt bei der Fundación Renacer vorgesehen. Ziemlich groß, in ganz Kolumbien bekannt und bezüglich der Aufgabenbereiche vielfältig ist die Fundacón eines der ältesten Projekte im Pool des ICYE-Colombia. Nach einem eher weniger informativen Treffen mit der Direktorin der Fundación war es für mich abgemachte Sache, dass ich die ersten drei Wochen in einem Hogar (span.: Heim) arbeiten sollte. In den Hogars leben Kinder und Jugendliche, die direkt von kommerzieller sexueller Ausbeutung betroffen waren. In den meisten Fällen handelt es sich um junge Menschen, die sich aus den verschiedensten Gründen prostituieren mussten. Manchmal ist es die Tatsachen, dass beide Eltern gestorben sind, manchmal liegt es an Arbeitslosigkeit und oft sind es auch einfach fehlende Perspektiven. Die vollständige Fürsorge für Betroffende ist neben Prävention und Erforschung sexueller Ausbeutung von Kindern und Jungendlichen einer der drei Aufgabenbereiche, denen sich die Fundación widment.
Nach meinem Empfinden kann ich sagen, dass die Kinder froh sind nicht mehr auf der Straße oder an den Orten, an denen sie vergewaltigt oder prostituiert wurden leben zu müssen, allerdings ist dieser Prozess nicht immer ganz einfach. In der Regel leben die Kinder für ca. 9 Monate in so einem Hogar und werden in dieser Zeit wieder an ein Leben ohne Drogen, Gewalt und Prostitution gewöhnt. Dabei stellen die Drogen wahrscheinlich das größte Problem dar. Wenn ein elfjähriges Mädchen gelangweilt genug ist, dass es unbedingt Marihuana rauchen oder andere Drogen konsumieren möchte, dann lässt sich schwer etwas dagegen machen. Die Kinder im Heim werden natürlich dazu angehalten das Gelände nicht zu verlassen aber verbieten kann man es ihnen nicht. Wenn jemand abhaut, dann kommt er/sie allerdings meistens wieder zurück. Anders ist es, wenn jemand seine Sachen in einen der schwarzen Müllsäcke packt und geht. Dann kommt er/sie nicht wieder zurück und man kann sich sicher sein, dass das Kind wieder so weiter macht wie es vor der Ankunft im Heim gelebt hat. Das passiert meistens wenn es mal wieder einen Streit gegeben hat. Dann war auch in der Regel ziemlich viel los. Es werden eigentlich grundsätzlich Scheiben eingeschlagen und meistens nimmt sich auch eines der Kinder einige der Scherben um jemanden damit zu bedrohen. Ernsthaft verletzt hat sich allerdings bis jetzt noch keiner. In den drei Wochen, die ich nun in diesem Hogar verbracht habe sind vier Kinder gegangen und zwei gekommen. Ob das ausergewöhnlich viel ist kann ich nicht sagen.

Die Arbeit ist interessant, was damit begründet werden kann, dass ich bis jetzt noch nicht besonders viel mit finanziell sexuell ausgebeuteten Kindern zu tun hatte. Trotzdem ist es nicht direkt das, was ich mir vorgestellt habe. Mein Wunsch war es nicht unbedingt den Englischlehrer und Fußballkumpel für Kinder und Jugendliche zu mimen. Highlights sind dann immer die Momente, in denen wir den normalen Tagesablauf unterbrechen um etwas mehr oder weniger außergewöhnliches zu machen. Das letzte mal war es eine Razzia. Wir haben alles aus dem Haus geholt, alle Zimmer und das gesamte Gelände nach Drogen durchsucht. Natürlich ist das ein ziemlich starker Eingriff in die Privatsphäre der Kinder aber andererseits ist es so, dass keiner der Bewohener besonders viele persönliche Besitztümer hat. Nötig wurde das Ganze weil der Drogenskonsum in der letzten Zeit extrem angestiegen ist. Wirklich gefunden haben wir trotzdem nichts... was auch irgendwie verständlich ist. Wenn man an jeder Ecke Kokain angeboten bekommt, braucht man sich keinen Vorrat anlegen.
Morgen ist mein erster Tag im Ambulatorio. Das ist im Grunde das gleiche, mit dem Unterschied, dass die Kinder nicht dort wohnen sondern nur der Tag über da sind. Das Viertel in dem dieses Ambulatorio untergebracht ist, ist in Bogotá und ganz Kolumbien für Prostitution (auch von Kindern) bekannt und soll nach Aussagen einiger Kolumbianer ziemlich gefährlich sein... das ist mein Wohnviertel aber angeblich auch.
Ein Problem bei der Arbeit hier ist, dass man als junger Mann nicht besonders ernst genommen wird. Viele der Freiwilligen kommen direkt nach der Schule hierher und haben wirklich keinerlei Erfahrungen. Wenn man so etwas noch nie gemacht hat, ist es interessant ein bisschen zu unterrichten oder an irgendwelchen Teambuilding Geschichten erstmal teilzunehmen. Ich empfand die Arbeit bis jetzt eher als Unterforderung.  Ein weiteres Problem ist ganz klar mein Spanisch... immer noch sehr lückenhaft und nur gelegentlich ausreichend um klare Anweisungen zu geben. Meine Hoffnung ist es, spätestens sobald mein Spanisch ausreichend ist den Aufgabenbereich (zumindest teilweise) zu wechseln. Aufgrund der Tatsache, dass die Fundación so groß ist male ich mir gute Chancen aus.
Ansonsten geht es mir ziemlich gut hier in Kolumbien. Von Montag bis Donnerstag habe ich in den letzten Wochen ziemlich wenig unternommen. Das lag eindeutig daran, dass ich morgens zwei Stunden im Bus gesessen habe um zur Arbeit zu kommen und Abends nochmal zwei Stunden um endlich was zu essen. Bei acht Stunden Arbeit bleibt da nicht viel vom Tag. Das wird sich aber zum Glück ab Montag ändern. Die Wochenenden sind gefüllt von viel Schlaf, dem autodidaktischen Studium kommerzieller sexueller Ausbeutung (und deren Folgen für Betroffene) und den Dingen, die junge Menschen sonst so machen - und dabei unterscheidet sich Kolumbien wenig von Deutschland.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen