Montag, 20. Dezember 2010

Die Vier Jahreszeiten

Wenn ich in Deutschland morgens ziemlich früh noch wach war, dann war es wie heute. Ich sitze auf der Bank vor meinem Haus und genieße das Leben. Alles ist hell aber die Sonne ist noch nicht zu sehen. Es ist noch ein bisschen kühl draußen aber man kann es aushalten. Die Wolken werden vom Wind über das Blau des Himmels getrieben und man weiß es würde ein schöner Tag werden. Sommer ist meine Lieblingsjahreszeit. Das ich an der Ostseeküste aufgewachsen bin hat sicher etwas damit zu tun.  
Als ich zum Bus gehe ist es ziemlich warm. Ich ziehe mir den Pullover aus um nicht zu schwitzen. Der Frühling ist endlich da. Die ersten warmen Tage sind die schönsten. Warum weiß ich auch nicht. Vielleicht weil man seit dem letzten Sommer nur darauf gewartet hat. Als ich auf den Bus warte drehe ich mein Gesicht in Richtung Sonne. Es ist schön die Wärme auf der Haut zu spüren. Wie ich das vermisst habe.  
Etwas später sitze ich wieder auf der selben Bank. Diesmal habe ich eine Jacke an. Sie ist geöffnet und der kühle Wind streichelt mein Gesicht. Die Sonne spiegelt sich golden in den Pfützen bevor sie das letzte Mal aufleuchtet und hinter den Bergen versinkt. Es ist Herbst. Vor mir putzt eine Frau ihre Fenster. Ein alter Mann gräbt das kleine Blumenbeet daneben um. Das letzte Mal bevor der Winter beginnt und es zu kalt wird um draußen sich draußen aufzuhalten. Die Welt ist schön, wie sie so daliegt in allen erdenklichen Farben.
Nachts. Die Sonne ist längst versunken und ich stehe am Simón-Bolívar-Platz. Die Beleuchtung des Weihnachtsbaumes spiegelt sich im Eis. Die Kolumbianer laufen Schlittschuh mitten im Zentrum Bogotás. All die Lichter und die Musik lassen mich an vergange Weihnachtsfeste denken.
Und daran wie schnell das Jahr vergangen ist.

P.S.: Allen die noch nie in Bogotá waren sei gesagt, dass es sich um ein und denselben Tag im Dezember handelt. Alle anderen werden mir mit Sicherheit nur zustimmen können.

Montag, 6. Dezember 2010

Straßenmusik

Sie stehen alle ordentlich in einer Reihe. Als wäre es dir Norm für sie. Etwas anderes wird von der Bevölkerung nicht akzeptiert. Wahrscheinlich wäre es auch unangenehm wenn man lauter Kreise laufen müsste um sie zu passieren. Acht sind es insgesamt und einige sind schon ziemlich alt, die jüngsten zählen nicht mehr als zwei, drei, vielleicht vier Jahre. Aber das ist normal hier. Nichts außergewöhnliches in einem Land des politischen Südens.
Von irgendwoher kommt ein lauter Knall wie von einem Feuerwerkskörper. Man spürt fast das Beben der Erde unter den Füßen. Zwei von ihnen beginnen mit ihrer Musik. Als wäre der Krach ihr Signal gewesen. Eine der Passanten erschreckt sich deutlich sichtbar. Die betagte Frau blickt um sich und geht schnell weiter. Alle gehen schnell weiter. Keiner bleibt stehen um auch nur eine Minute zu lauschen. Den meisten gefällt die Musik offensichtlich nicht. Ehrlich gesagt, ich mag es auch nicht besonders. In Deutschen Großstädten gibt es weniger davon. Zumindest ist das mein Eindruck. Und auch wenn es keinem hier besonders gefällt wird es doch akzeptiert. Wenn man einen Hut sucht um etwas Geld hinein zu werfen wird man nicht fündig. Mit Sicherheit würde hier auch keiner spenden wollen. Wahscheinlich würde es eher komisch anmuten einigen Münzen herzugeben.
Mitten am Tag ist es eigentlich auch nicht besonders unangenehm. Das Großstadtleben macht genug Lärm um ihre Musik ein bisschen zu übertönen. Viel schlimmer wenn man im Bett liegt und sie plötzlich irgendwo in der Nähe anfangen zu spielen. Manchmal auf dem Parkplatz vor meiner Wohnung.
Geht es nur mir so oder ist dieses Gedudel immer das Gleiche. Mit einigen Veränderungen aber im Grunde sind kaum Unterschiede zu merken. Wahrscheinlich ist mein Ohr auch einfach nicht geeignet die Variationen zu erkennen. Vielleicht lerne ich es eines Tages noch.
Von den acht hat jetzt auch noch ein dritter angefangen. So viele auf einmal ist schon fast ungewöhnlich. Vielleicht fühlt er sich herausgefordert von den anderen beiden. Man findest sie überall in der Stadt. Weiße, Schwarze eigentlich in jeder erdenklichen Couleur.
Plötzlich lehnt sich jemand aus dem Fenster gegenüber. Er scheint offensichtlich der Besitzer eines kleinen Schwarzen zu sein. Sie alle haben ihre Besitzer hier irgendwo in der Nähe.
Nachdem er auf seinen Schlüssel gedrückt hat gibt das Auto endlich Ruhe. Kurz darauf sind die Alarmanlagen der anderen beiden auch still.
Ich lehne mich zurück, widme mich wieder meiner Aufgabe und warte nur darauf, dass die Großstadtmusik, der Sirenenlärm sein Konzert von neuem beginnt. Vielleicht beim nächsten Donnerschlag.

Samstag, 20. November 2010

Über's Bloggen

Das ich in den letzten zwei Monaten zwei Einträge veröffentlicht habe kann mir nicht gerade als Schreibwut ausgelegt werden. Die Frage warum ich in der letzten Zeit nichts gebloggt habe kann ich auch nicht wirklich beantworten.
Die meisten Freiwilligen fangen an, schreiben die erste Jahreshälfte jede Menge, und in den folgenden sechs Monaten kommt dann noch ein Eintrag mit der Entschuldigung, dass das Leben zur Routine geworden ist. Es gibt nichts Neues mehr zu berichten.
Bei mir ist eigentlich jede Menge in den letzten Monaten passiert. Andererseits war es nicht soviel, dass es mich davon hätte abhalten können darüber zu berichten.
Über das warum habe ich mir deshalb eine ganze Weile den Kopf zerbrochen. Mittlerweile bin ich zu dem Schluss gekommen, dass man schlicht und einfach die Lust verliert. Am Anfang habe ich immer noch bei Facebook nachgeschaut, was meine Freunde in Deutschland so treiben, hatte regelmäßig Gespräche mit meiner Familie und den Daheimgebliebenen. Jetzt ist es deutlich weniger geworden. Wenn ich sage, dass ich mehr arbeite und hier meine Freunde hab, dann wäre das nur die halbe Wahrheit. Deutschland interessiert mich einfach nicht mehr, ist die andere Hälfte. Natürlich sind das nicht die Menschen, die mir in meinem Leben wichtig geworden sind. Die mich begleitet und zu dem gemacht haben, was ich jetzt bin. Aber der deutsche Staat, die Politik oder das Wirtschaftswachstum erscheinen mir mittlerweile Weltfremd. Wenn die Innenminister über ein Bleiberecht für leistungsstarke minderjährige Geduldete nachdenken kommt mir das menschenverachtend vor. Wenn der deutsche Außenminister schlechter Englisch spricht als ein duchschnittlicher Gymnasiast kann die einzige Erklärung sein, dass er von Politikerfreunden ernannt wurde. Und wenn jemand nationale Interessen - mit dem vollen Bewusstsein, dass Menschen in anderen Ländern darunter leiden werden - vertritt, frag ich mich wann bei ihm die Realität auf der Strecke geblieben ist.
Ein Jahr in Kolumbien verändert die Sicht auf vieles. Dass ich anfangen muss Gründe zu suchen warum ich nach Deutschland zurück will, hätte ich in den ersten drei Monaten nicht gedacht. Neben Familie, Freunden und Bekannten wären da noch die praktischeren Duschköpfe, einige Lebensmittel und danach fällt es schon schwer.
Vielleicht geht es den meisten Freiwilligen so wie mir. Einem wird klar, dass man soviel bloggen kann wie man will. Es versteht einen doch keiner ohne hier gewesen zu sein. Die Lust über all das Neue zu berichten versiegt. Die Deutschen können auch weiter die Nachrichten lesen und denken, dass es ihnen schlecht geht.
Das größte Geschenk in meinem Leben ist wahrscheinlich trotzdem meine Deutsche Staatsbürgerschaft. Garantiert sie doch kostenlosen Zugang zu Bildung und ein (Über-)Leben ohne Sorgen. Das es mir gut geht und anderen deshalb schlecht ist ein Gedanke, den man niemals ganz zu Ende denkt. Würde es doch bedeuten Kosequenzen ziehen zu müssen.
Das Bloggen werde ich trotzdem nicht aufgeben. Vielleicht weil ich zu wissen glaube, dass es Menschen gibt die mich verstehen.

Samstag, 23. Oktober 2010

Die zweite Ankunft

Als ich das erste Mal nach Bogotá gekommen bin war ich 20 Jahre jung, jemand der keine Ahnung hat was ihn erwartet. Ich bin 23:12 angekommen. In der rechten oberen Ecke meines Handys konnte ich eine kleine 5 vor dem Doppelpunkt erkennen. Ich verstand kein Wort von dem was die Frau am Flughafen von mir wollte. An das was danach geschah kann ich mich kaum noch erinnern. Ich fuhr im Taxi durch eine riesige Stadt. Der Mann neben mir redete Englisch mit einem kolumbianischen Akzent. Wir fuhren lange, passierten große, gut ausgebaute Straßen, entfernten uns immer weiter vom Flughafen. Die Straßen wurden kleiner und enger. Als wir angekommen waren schleppte ich meine beiden Taschen die Treppen hoch, sagte dass ich keinen Hunger hätte und ging schlafen.
Die nächsten Tage verbrachte ich lesend im Park, im Camp für die Neuangekommenen und anschliessend halbtags im Spanischkurs. Die Nachmittage war ich mit anderen Freiwilligen unterwegs. Freiwillig sind wir alle, bis jetzt haben wir ja auch noch nicht eine Stunde gearbeitet.
In den ersten Arbeitswochen schlafe ich viel. Die Luft ist deutlich dünner als gewohnt und das tägliche Lernpensum erledigt den Rest.
Als ich etwa neun Monate später zum zweiten Mal nach Bogotá komme, ist alles anders. Diesmal bin ich 21 Jahre alt. Mein Handy ist ein anderes aber zeigt die gleiche Uhrzeit, wie die der anderen. Ich weiß was mich erwartet.
Ich trage meine beiden Taschen aus dem kleinen Bus, der uns bis zum Hauptgebäude der Fundación gefahren hat und nur fünf Minuten später sitze ich mit den vier Kollegenen, mit denen ich in den letzten drei Monaten gemeinsam ein Team gebildet habe an einem Tisch. Wir warten auf unsere Chefin.
4 1/2 Stunden später verlassen wir das Büro wieder. Diesmal habe ich alles verstanden was gesagt wurde. Die folgenden zwei Wochen verbringe ich nicht lesend im Park oder im Spanischkurs.
Ich bin zehn bis elf Stunden täglich an meinen Stuhl gefesselt. Vor mir, auf dem Bildschirm ist anfangs ein 35 Seiten langes Dokument geöffnet. In den nächsten zwei Wochen sollten zwei Dokumente und insgesamt etwa 70 Seiten dazu kommen. Meine Kollegen und ich schreiben den ganzen Tag. Ich muss immer wieder mein Wörterbuch zu Rate ziehen, bin ein bisschen langsamer als die anderes aber gleiche es aus, indem ich morgens früher komme.
In Melgar, der größten Gemeinde in der ich gearbeitet habe, ist ein riesiger Berg an Informationen zusammengekommen. Über 70 Interviews, Systematisationen von teilnehmenden Beobachtungen in über 20 Bars und Diskotheken, all das, was wir in den Wohnvierteln gesehen haben, 10 Workshops mit Kinder, 5 Workshops mit Müttern, 2 Diskussionsgruppen mit sozialen Aktueren, der politische Rahmen für die Jahre 2008-2011 und und und. Jetzt müssen wir die Informationen miteinander verknüpfen. Systematisieren, reflektieren, kommentieren und anschließend unsere Empfehlungen abgegeben. Das Bürgermeisteramt, die Schulen und das kolumbianische Familienministerium sind gespannt auf die Endfassung. Alles muss perfekt sein.
Ich stehe morgens halb sieben auf und bin um acht im Büro die anderen kommen zwischen neun und zehn. Zwischen 18:30 und 19:00 müssen wir gehen. Die Sekretärin will los und hat den Schlüssel für die Tür. Im Bus nach Hause lese ich mir die Ergebnisse anderer, ähnlicher Untersuchungen durch um vielleicht noch eine Sichtweise oder Schlussfolgerung zu entdecken, die wir bisserher vergessen haben. Abends mache ich kaum etwas. Manchmal telefonieren wir um uns abzusprechen, was noch fehlt. Meist sitze ich einfach vor dem Computer gucke Filme oder bin bei Facebook. Das zweite Profil nutze ich immer noch. Ich schreibe mit einem Franzosen. Reicher alter Mann, der eine Finca in Nilo hat und dort die Mädchen aus Santa Marta manchmal mit hinnimmt. Wenn die Fundación sich sicher ist, dass es sich dabei auch um Minderjährige handelt, wird der Fall an eine Sondereinheit von Interpol weitergereicht. Die ermitteln dann weiter. Nach 22 Jahren verfügt die Fundación über das nötige Netzwerk für solche Aktionen.
Vor etwa zwei Monaten konnte das erste Mal ein wichtiger Erfolg in der Bekämpfung von internationalem Sextourismus in Kolumbien erziehlt werden. In Cartagena wurde ein Italiener zu 15 Jahren Haft verurteilt. Die Fundación Renacer hat den Jungen der überlebte nach dem Vorfall betreut. Die Einzelheiten von der uns die Direktorin erzählte, sind so unangenehm, dass ich sie lieber nicht aufschreiben will.
Im März sollen Projekte in Melgar starten. Die Fundación ist in Gesprächen mit der Europäischen Union und einem der Geldgeber, der auch unsere Arbeit in den letzten drei Monaten mitfinanziert hat. Ich bin gespannt welche Entwicklungen der Sextourismus mit minderjährigen Opfern dort nimmt.
Ach ja, und freiwillig bin ich noch immer, vielleicht gerade weil ich schon mehr als eine Stunde gearbeitet habe.

Dienstag, 28. September 2010

Strategiewechsel

Am 26.09.2010 um 11:12 Uhr war es soweit. Wir wussten uns nicht mehr anders zu helfen. Facebook musste herhalten.
Wir sind seit einer Woche in Chinaute und die magere Ausbeute sind drei Taxifahrer, die nebenberuflich als Zuhälter arbeiten, ein Verwalter einer Finca (Wochenendhaus), der möglicherweise Minderjährige beschaffen kann, eine Finca in der jedes Wochenende Swingerpartys veranstaltet werden. Ob an den Partys unter achtzehn Jährige teilnehmen müssen wir noch herausfinden. Mit Minderjährige selbst haben wir noch nicht gesprochen.
Strategiewechsel. Wir haben den Vorteil mit zwei Teams in Chinauta zu arbeiten. Die Frauen kümmern sich um die Institutionen wie Schulen, Krankenhäuser, Bürgermeisteramt und Polizei, die Workshops mit Müttern und Schülern und was es sonst noch gibt. Ein Kollege und ich, wir sind Klienten. Immer auf der Suche nach den jungen Mädchen. 15, 16,17 oder vielleicht auch 14 aber bloß nicht älter. Vorher musste das alles ein und das selbe Team erledigen. Die Situation in Chinauta ist anders als alles was wir bis jetzt kennen. Es gibt keinen Dorfkern. Die nächste Stadt ist nur zehn Minuten im Auto entfernt. Hier findet man nicht so schnell Minderjährige in der Straße. Der Grund ist einfach. Weil es nur eine Straße gibt. Wir beide haben also angefangen 10 Stunden am Tag bei Facebook online zu sein. Nach acht Monaten Erfahrung habe ich nur zu oft die Geschichten von den Kindern gehört, die über das Internet ihre Klienten suchen.
Am 26.09. hieß es dann also "Willkommen bei Facebook". Bis 3:00 nachts habe ich Fotos hochgeladen, Freunde gesucht, das Profil von Felix Peters bearbeitet bis es halbwegs echt aussieht.


12 Stunden später habe ich über 80 Freunde, 5 Fotoalben, bin auf 19 Fotos verlinkt und meine Pinnwand ist ausreichend voll mit lauter Einträgen von Leuten aus Deutschland und Kolumbien, Dingen die ich mag und anderen Kleinigkeiten.
Also ging es los. Gruppen von Schulen in Chinauta und Fusa suchen und Jungs und Mädels, die ihre Schule mögen als Freunde hinzufügen. Alle Mitglieder aus Gruppen wie "die Mädchen aus Fusa", "hübsche Mädchen aus Fusa" oder "Bildhübsche Fusanerinnen". So viel wie möglich. Um 6 Uhr abends wird die Euphorie das erste Mal gestoppt. Facebook fängt an mich immer öfter zu fragen ob ich das Mädchen oder den Jungen auch wirklich kenne. Also ein Gang runterschalten und warten. Nach den ersten Angenommenen Freundschafteinladungen fange ich an mit den Leuten zu chatten.

"Hallo, wie geht's?"
"Gut, gut... und dir?"
"Auch. Du bist aus Fusa oder"
"Ja, und du?"
"Oh, ich bin Österreicher... aber zur Zeit in Kolumbien"
"Was machst du hier?"
"Reisen, Spanisch und die Menschen dieses wunderbaren Landes (kennen)lernen"
"Cool... und wo bist du gerade?"
"In Bogotá... ich will bald nach Fusa, da soll es wärmer sein?!"
"Ja, ist viel wärmer als Bogotá"
"Cool... und sind alle Mädchen in Fusa so hübsch wie du ;-)?"
"Hahaha... nicht alle aber die meisten"
"..."
"aber du siehst auch nicht schlecht aus"
"Danke... und was machst du so?"
"Geh noch zur Schule"
"Wie alt bist du denn?"
"sechszehn und du"
"einundzwanzig... entschuldige die Frage: Hast du eigentlich einen Freund?"
"nö"
"jemand so hinreißendes wie du ohne Freund???"
"Hat vor drei Monaten schluss gemacht"
"Scheint nicht zu wissen was er da verpasst ;-)"
"hahaha... muss los, gibt Abendbrot bei mir"
"Okay... wir reden später???!"
"Ja... ciao"
"ciao"
Carolina ist offline 

 Mein Kollege hat das selbe Mädchen als Freundin bei Facebook und schreibt fleissig mit ihr. Weniger an ihrem Äußeren, mehr an ihrer Persönlichkeit interessiert.
Als sie das nächste Mal online ist kann nur er sie sehen und mit ihr schreiben. Für Felix Peters ist sie offline. Anscheinend hat sie ihn in eine Gruppe für ausländische Lustmolche verbannt. Gut für sie. Schlecht für unsere Arbeit.
Also fangen wir an mit der Nächsten zu chatten.

Samstag, 11. September 2010

Freitag, 10.09.2010

Es ist 22:34. Wir sitzen in einer kleinen Bar. Aus den Lautsprecherboxen der Jukebox dringt laute Musik. Was die aufgeregten Stimmen am Nachbartisch sagen ist trotzdem noch zu verstehen. Immer wieder gucken die drei Frauen und deren zwei Begleiter zu uns rüber. Wir fühlen uns ein bisschen unwohl. Etwa wie ein Fünftklässler der beim Abschreiben erwischt wurde.
10 Stunden früher: Die Sonne brennt vom Himmel. Im Haus der Kultur ist es stickend heiß. Ich muss immer wieder an den Pool direkt vor unserem Bungalow denken. Zweiundzwanzig Frauengesichter blicken uns erwartungsvoll an. Die Mütter profitieren von einem staatlichen Programm, das ihnen etwa 140.000 Pesos monatlich zur Unterstützung ihrer Kinder bereitstellt. Es ist zu bemerken wer aus ehrlichem Interesse gekommen ist und wer nur da ist um seine Pflicht zu erfüllen. Wir erklären wer wir sind, woher wir kommen und was wir in Nilo machen.Wie immer beginnen wir mit dem 30 minütigen Video der Fundación. Fünf Geschichten von Minderjährigen, denen das selbe passiert ist wie den geschätzten 35.000 Kindern und Jugendlichen die sich in Kolumbien noch immer in kommerzieller sexueller Ausbeutung befinden. Das Desinteresse, fast schon Abneigung einer der Teilnehmenden bleibt uns nicht verborgen. Nach etwa 25 Workshops dieser Art wissen wir ihre Mimik und Gestik zu deuten. Die junge Frau, nicht älter als dreißig ist mit Sicherheit in irgendeiner Form direkt Betroffene von dem was wir zeigen und zu erklären versuchen.
Sie hat sich mit ihrem Leben so eingerichtet. Sicher nicht freiwillig aber wer einmal daran gewöhnt ist will keine Hilfe. Aus Zeitmangel haben wir es aufgegeben jedem helfen zu wollen.

Etwa 5 Minuten später bezahlen die fünf ihre Rechnung. Eine der Frauen kennen wir von heute Nachmittag. Sie bestätigt mit ihrer Anwesenheit, was wir schon wussten. Die beiden Männer sind offensichtlich Klienten. Kleidung, Körperbau und Verhalten lässt auf Militärs aus der Schule zur Ausbildung professioneller Soldaten schließen. Die anderen beiden kennen wir gut. Maria* und ihre Mutter. In den letzten Wochen hatten wir immer wieder Kontakt mit der 17 Jährigen und ihrem einzigen noch lebenden Elternteil. Bis heute Abend haben die beiden geglaubt wir würden hier Urlaub machen. Sie haben bereitwillig mit uns über alles geredet. Nicht immer die Wahrheit aber zumindest waren sie nicht so verschlossen wie andere. Was ihnen jetzt erzählt wurde war neu für sie.
Keiner aus der Gruppe weiß uns einzuordnen. Es fällt das Wort Polizei. Dass das unrealistisch ist, sollte ihnen nach kurzem Nachdenken klar werden. Kurz darauf verlassen die Männer und deren käufliche Begleiterinnen ihren Tisch. Maria und ihre Mutter gucken stur geradeaus. Keine der beiden winkt uns zum Abschied wie sonst.
Wir bleiben noch etwa eine Stunde sitzen. Es tut sich nichts und wir machen uns auf den Weg zu unserem Bugalow. Das unangenehme Gefühl will nicht verschwinden. Uns war klar, dass wir mit einem Workshop dieser Art mitten im Zentrum Nilos die verdeckten Ermittlungen vollends begraben können. Das es so schnell geht hätten wir nicht gedacht.

*Name von der Redaktion geändert

Dienstag, 31. August 2010

Es wird immer kleiner...

Wir sind jetzt in Nilo angekommen. Eigentlich nicht jetzt sondern schon vor 10 Tagen. Dass ich mir solange Zeit gelassen hab mal wieder was zu veröffentlichen will ich auf die Tatsache schieben, dass wir fast ausschließlich mit Schreibarbeit beschäftigt sind.
Unter der Woche ist hier eigentlich nichts los und weil uns ein großer Teil der Systematisation der Arbeit in Melgar fehlt haben wir uns erstmal darauf gestürzt. Mein Spanisch ist natürlich nach wie vor nicht perfekt. Es reicht allerdings, dass ich mich aktiv an diesem Prozess beteiligen kann. Meine Bericht werden zwar immer nochmal korrigiert aber das dauert nicht länger als 15 Minuten.
Nilo ist ziemlich klein. Etwa 6000 Einwohner haben hier ihr Zuhause. Dazu kommt noch eine Militärschule mit etwa 1600 Männern die professionelle Soldaten werden wollen. Die Arbeit hier ist nochmal ein Stück anders. Jeder kennt jeden und nach einer Woche hatte man auch vom "alemán" (span. Deutscher) gehört. Wir arbeiten noch raffinierter, wenn ich das so sagen darf. Wir nehmen an jeder sozialen Aktivität teil, bei der sich die Gelegenheit bietet mit Jugendlichen aus dem Dorf zu sprechen. Am Wochenende haben wir uns mit 3 Mädels, einem Zuhälter und einem weiteren Mann (wahrscheinlich Klient der Minderjährigen) in der Finca des letztgenannten getroffen. Nach einigen unbedeutenden Wortwechseln haben wir die Pferde aufgesattelt und sind losgeritten. 
Manchmal fühle' ich mich wie in einem Film. 
Der Zuhälter passt allerdings nicht in das typische Profil. Wenn man sich einen kräftigen Mann Mitte 40 in langem, schwarzem Mantel vorstellt liegt man ziemlich falsch. Der Junge ist gerade mal 18 Jahre alt, selbst Opfer und seine Mutter sagt ihm immer noch wann er zu Hause sein soll.

An dieser Stelle ein Dank an meine Eltern, für all die Möglichkeiten die ich in meiner Jugend hatte.
Ansonsten ist es ziemlich ruhig. Eigentlich der perfekte Ort um ein Wochenendhaus zu haben. Die Landschaft ist beeindruckend schön und das Wort Verkehrslärm existiert hier mit Sicherheit nicht.
Morgen haben wir ein voraussichtlich letztes Treffen mit verschiedenen Akteuren staatlicher Organisationen aus Melgar. Das Ministerium für Kinder und Familie und die Polizei haben kalte Füße bekommen und wollen, dass wir Anzeigen erstatten. Die Angst der verschiedenen Institutionen ist begründet. Seit etwa 10 Jahren zeigt sich das Phänomen der kommerziellen sexuellen Ausbeutung Minderjähriger in Melgar und bis jetzt wurde nichts getan. Ist nicht besonders schön für die Lokalregierung wenn das auf einmal publik gemacht wird. Wir werden uns wohl auf die Schweigepflicht berufen und sagen, dass der Anwalt der Fundación für solche Sachen zuständig ist. Hoffentlich funktioniert's.

Nilos Umgebung um 5 Uhr Nachmittags