Dienstag, 31. August 2010

Es wird immer kleiner...

Wir sind jetzt in Nilo angekommen. Eigentlich nicht jetzt sondern schon vor 10 Tagen. Dass ich mir solange Zeit gelassen hab mal wieder was zu veröffentlichen will ich auf die Tatsache schieben, dass wir fast ausschließlich mit Schreibarbeit beschäftigt sind.
Unter der Woche ist hier eigentlich nichts los und weil uns ein großer Teil der Systematisation der Arbeit in Melgar fehlt haben wir uns erstmal darauf gestürzt. Mein Spanisch ist natürlich nach wie vor nicht perfekt. Es reicht allerdings, dass ich mich aktiv an diesem Prozess beteiligen kann. Meine Bericht werden zwar immer nochmal korrigiert aber das dauert nicht länger als 15 Minuten.
Nilo ist ziemlich klein. Etwa 6000 Einwohner haben hier ihr Zuhause. Dazu kommt noch eine Militärschule mit etwa 1600 Männern die professionelle Soldaten werden wollen. Die Arbeit hier ist nochmal ein Stück anders. Jeder kennt jeden und nach einer Woche hatte man auch vom "alemán" (span. Deutscher) gehört. Wir arbeiten noch raffinierter, wenn ich das so sagen darf. Wir nehmen an jeder sozialen Aktivität teil, bei der sich die Gelegenheit bietet mit Jugendlichen aus dem Dorf zu sprechen. Am Wochenende haben wir uns mit 3 Mädels, einem Zuhälter und einem weiteren Mann (wahrscheinlich Klient der Minderjährigen) in der Finca des letztgenannten getroffen. Nach einigen unbedeutenden Wortwechseln haben wir die Pferde aufgesattelt und sind losgeritten. 
Manchmal fühle' ich mich wie in einem Film. 
Der Zuhälter passt allerdings nicht in das typische Profil. Wenn man sich einen kräftigen Mann Mitte 40 in langem, schwarzem Mantel vorstellt liegt man ziemlich falsch. Der Junge ist gerade mal 18 Jahre alt, selbst Opfer und seine Mutter sagt ihm immer noch wann er zu Hause sein soll.

An dieser Stelle ein Dank an meine Eltern, für all die Möglichkeiten die ich in meiner Jugend hatte.
Ansonsten ist es ziemlich ruhig. Eigentlich der perfekte Ort um ein Wochenendhaus zu haben. Die Landschaft ist beeindruckend schön und das Wort Verkehrslärm existiert hier mit Sicherheit nicht.
Morgen haben wir ein voraussichtlich letztes Treffen mit verschiedenen Akteuren staatlicher Organisationen aus Melgar. Das Ministerium für Kinder und Familie und die Polizei haben kalte Füße bekommen und wollen, dass wir Anzeigen erstatten. Die Angst der verschiedenen Institutionen ist begründet. Seit etwa 10 Jahren zeigt sich das Phänomen der kommerziellen sexuellen Ausbeutung Minderjähriger in Melgar und bis jetzt wurde nichts getan. Ist nicht besonders schön für die Lokalregierung wenn das auf einmal publik gemacht wird. Wir werden uns wohl auf die Schweigepflicht berufen und sagen, dass der Anwalt der Fundación für solche Sachen zuständig ist. Hoffentlich funktioniert's.

Nilos Umgebung um 5 Uhr Nachmittags

Dienstag, 17. August 2010

Melgar II

"Tochter, such dir einen Soldaten!" Das ist der Rat den Eltern ihren Kindern mit auf den Weg geben. Sicher nicht in der ganzen Welt und auch nicht in allen Teilen Kolumbiens aber zumindest in Melgar. Hier gibt es nichts. Wochenendtourismus ist nahezu das einzige von dem die über 30.000 Einwohner leben. Wenn wir Workshops mit Müttern in den ärmeren Viertel veranstalten wollen und fragen welcher Tag der Beste ist, bekommen wir fast immer die selbe Antwort. Jeder, bloß nicht am Wochenende. Am Wochenende kann man auf der Straße Filme, Eis, Getränke und Essen verkaufen oder in den Fincas der Reichen putzen und kochen. Das einzige Einkommen vieler Familien.
Wir sind jetzt fertig mit unserer Diagnose in Melgar und die Ergebnisse sind besorgniserregend. Es gibt keinerlei Programme für die Opfer von sexueller kommerzieller Ausbeutung, die Polizei arbeitet in den Augen des Bürgermeisteramtes hart, wenn man die Kinder in den Schulen oder die Mütter auf der Straße fragt, was die Polizei macht, bekommt man auch nach längerem bohren nur eine kurze Antwort. "Nichts!"
Das Ministerium für Kinder und Familie und die Polizei haben keinen einzigen registrierten Fall von kommerzieller sexueller Ausbeutung Minderjähriger, die Anzahl der im Krankenhaus mit Infektionen von sexuell übertragbaren Krankheiten Behandelten hat bei den Minderjährigen und Soldaten zwei Ziffern zuviel um sich in einem normalen Rahmen zu bewegen. Einen Zusammenhang will trotzdem niemand sehen.
Soldaten sind hier die besten "Kunden". Wenn man am Wochenende durch die Straßen zieht sieht man viele der Streitkräfte in Begleitung von ein oder zwei Frauen. Geschätzte 90 Prozent der weiblichen Begleiterinnen werden dafür auf die eine oder andere Art bezahlt.
Seit einiger Zeit gibt es in Kolumbien ein neues Jugendschutzgesetz. Viele Mütter und Väter sehen darin einen der Gründe warum die Kinder in Prostitution enden. Wie soll man Töchter und Söhne erziehen, wenn man sie nicht mehr schlagen darf? Da fehlen uns die Wort. Eine der vielen Empfehlungen für die öffentlichen Einrichtungen hier wird es sicher sein Mütter und Väter bezüglich Erziehung von Kindern fortzubilden.
Minderjährigen sollte es laut Gesetz eigentlich unmöglich sein ohne Begleitung der Eltern nachts ein Hotel zu betreten. Die Klienten und Jugendlichen haben trotzdem in keinem der etwa 150 Vorhandenen ein Problem, ein Zimmer zu bekommen.

Ich hatte dank eines "weltwärts"-Seminars die Möglichkeit ein Wochenende auszuspannen. Es war interessant mit den vielen Neuangekommen zu sprechen.
Am Mittwochabend werden wir uns in die nächste Gemeinde aufmachen. Von Nilo aus werden wir dann noch eine Gesprächsgruppe mit in Melgar stationierten, amerikanischen Soldaten vorbereiten. Das einzige noch fehlende Puzzleteil.
Wie viele weitere Mädchen bis dahin dem Rat ihrer Eltern gefolgt sind lässt sich schwer sagen. Das es viele sind, bezweifel ich nicht.