Dienstag, 20. Juli 2010

Beschreibung der Untersuchung der kommerziellen sexuellen Ausbeutung Minderjähriger (KSAM) in Bogotá (Kolumbien) in Verbindung mit Tourismus und Reisen aus Sicht eines Ausländers

Hierbei handelt es sich um Ausschnitte meiner Erfahrungen in Bogotá. Zur Zeit sind wir gerade in 5 Gemeinden etwa 2-3 Stunden außerhalb gelegen tätig. Wie es mir hier so ergeht werde ich in den nächsten Tagen mal schreiben. 

Als ich mir darüber Gedanken machte, wie es sein wird für ein Jahr in Bogotá (Kolumbien) zu leben, kreisten meine Gedanken sehr intensiv um meine Arbeit. Die Idee des Regierungsprogramms welches meinen Aufenthalt zu einem großen Teil finanziert (“weltwärts”) ist, dass ich in einem sozialen Projekt, akkreditiert durch die deutsche Regierung, arbeite. Kurz vor meiner Ausreise stand fest, dass ich in der Fundación Renacer arbeiten werde. Eine Organisation die sich der Bekämpfung von sexueller kommerzieller Ausbeutung Minderjähriger verschrieben hat.
Dies war vollkommen neu für mich. In Deutschland habe ich bereits mit Kindern und Jugendlichen gearbeitet, allerdings in einem anderen Kontext. Zudem habe ich Erfahrungen in der Arbeit mit Flüchtlingen, welche die Krisenszenarien ihrer Länder verlassen um sich erneut in ungeschützten Situationen zu befinden. Meine neue Arbeit ist eine Mischung der beiden vorherigen: Minderjährige in verletzlichen Situationen.
Meine persönlichen Motivationen waren nicht nur eine neue Sprache und ein Land des politischen Südens kennen zu lernen sondern auch den Bewohnern im Rahmen meiner Möglichkeiten zu helfen.
Die ersten Monate meines Aufenthaltes arbeitete ich in zwei verschiedenen Aufnahmezentren für Kinder und Jugendliche um deren Situation besser verstehen zu können. Hierbei handelte es sich um einen interessanten, wenngleich sehr beschränkten Einblick in die Welt der KSAM. Hatte ich doch die Möglichkeit die Opfer, jedoch nicht die konkreten Situationen der Ausbeutung kennen zu lernen.
Nach einiger Zeit bot mir die Fundación Renacer die Möglichkeit der Mitarbeit in einem Projekt mit deutlich anders gelagertem Aufgabenfeld an.
Das Team, welches zur Aufgabe hatte die KSAM in Bogotá zu untersuchen sah sich mit dem Problem konfrontiert, dass sich viele der Ausländer in sehr geschlossene Gruppen befinden. Viele der Touristen und Reisenden, die in die Hauptstadt Kolumbiens kommen, tun dies in der Überzeugung, dass es sich beim Großteil der Bevölkerung um Diebe und Drogenverkäufer handelt. Mit meinem ganz offensichtlich nicht Südamerikanischen Phänotyp und meinen Kenntnissen der Englischen und Deutschen Sprache, habe ich die Möglichkeit deutlich leichteren Zugang zu diesen Gruppen zu finden.
Ich stellte mir zu Recht vor, dass ich in dieser Arbeit die Möglichkeit habe mehr über das Leben der jungen Menschen in Kolumbien zu erfahren.
Ich verließ die sichere Umgebung meiner kolumbianischen Familie, der “ruhigen” Arbeit im Ambulatorio und aller Orte in Bogotá die ich bis zu diesem Zeitpunkt kennen gelernt habe.
Bogotá als Stadt ist ganz anders als alle großen Städte Deutschlands oder Europas die ich bis zu diesem Zeitpunkt kennen gelernt habe. Die Armut erreicht Dimensionen, die man in den Agglomerationsräumen des politischen Nordens als solche nicht beobachten kann. Der Unterschied zwischen den Reichsten und Ärmsten Teilen der Bevölkerung ist auf unangenehme Art und Weise beeindruckend. Dieser Unterschied ist in allen Bereichen des Lebens sichtbar. Häuser, Essen und Kleidung sind unterschiedlich und was mir vor allem in Bezug auf die Untersuchung der KSAM stark aufgefallen ist, sind die Unterschiede zwischen Diskotheken, Bars und anderen Orten der Unterhaltung. In der Zona Rosa, vergleichbar mit den Kölner Ringen, kostet das gleiche Bier wie im Süden den drei- bis vierfachen Preis.
Die Möglichkeiten verhältnismäßig billig Partys und Drogen zu finden ist einer der Gründe warum vor allem viele Europäer und Nordamerikaner die Stadt aufsuchen.
Trotzdem sollte man auch die Anziehungskraft vieler touristischer Attraktionen wie Museen und zum Beispiel Monserrate nicht unterschätzen. Bogotá ist nicht nur eine Stadt mit großen Problemen sondern wirkt auch wie ein Magnet auf Leute die kommen um Geschäfte zu machen; in vielerlei Hinsicht ein Zentrum der Entwicklung. In Bezug auf meine Erfahrungen mit (Geschäfts-)Reisenden und Touristen kann ich bestätigen, dass deutlich mehr Personen nach Bogotá kommen um zu arbeiten oder Geschäfte zu machen, als Touristen, die lediglich die Absicht haben etwas Neues kennen zu lernen und zu entspannen.
Nach drei Monaten Feldforschung bin ich überzeugt, das der Großteil der Ausländer in Bogotá nicht anreist um Sex (mit Minderjährigen) zu suchen. Allerdings muss man sagen, dass viele die sich bietenden Möglichkeiten wahrnehmen und Geschlechtsverkehr mit Opfern sexueller kommerzieller Ausbeutung außerhalb ihres Landes haben. Da, wo sie sich in sicherer Anonymität wissen.
In Bogotá, vor allem in der Schwulenszene wird der Jugend große Beachtung geschenkt. Es existieren z. B. Bars und Diskotheken mit ermäßigtem Eintritt für Personen unter 21 Jahren. Aufgrund der Nähe der (Schwulen-)Szene zur Prostitution von Jungen und Männern (nahezu Verschmelzung in einigen Teilen Bogotás), überträgt sich diese Beachtung auch auf die kommerzielle sexuelle Ausbeutung. Im Allgemeinen sind die Klienten nicht pädophil (Pädophilie charakterisiert sich vor allem über drei Merkmale: 1. “Das sexuelle Interesse gilt Kindern, die sich vor der Pubertät im Sinne der Geschlechtsreifung befinden. [2.] Das sexuelle Interesse ist dabei primär, das heißt ausschließlich bzw. überwiegend und ursprünglich auf Kinder ausgerichtet.
[3.] Das sexuelle Interesse ist zeitlich überdauernd.”*), wobei das große Vorhandensein und der einfache Zugang zum “Frischfleisch” als wesentliche Faktoren genannt werden können, die die KSAM fördern/erleichtern.
Des Weiteren habe ich das Gefühl, dass eine breite Akzeptanz der Prostitution in weiten Teilen der Gesellschaft besteht. Kommerzielle sexuelle Ausbeutung von Personen über 18 Jahren scheint nichts Ungewöhnliches zu sein. Bis zur Akzeptanz der KSAM ist es dann nur noch ein kleiner Schritt.
Viele der Kinder und Jugendlichen enden als Opfer von Prostitution aufgrund des Fehlens von Perspektiven und Arbeit. Wir haben immer wieder mit Jugendlichen gesprochen, die ihr Studium selbst finanzieren müssen (in Kolumbien gibt es kaum öffentliche Hochschulen) oder dem Druck in den eigenen Familien einen finanziellen Beitrag zu leisten aufgrund verschiedener Faktoren nicht standhalten können. Zudem kommt ein bemerkenswerter hoher Prozentsatz an Personen, die bereits eigene Kinder besitzen.
Die bereits oben erwähnten bestehenden Unterschiede zwischen Arm und Reich sind ebenfalls in der kommerziellen sexuellen Ausbeutung zu beobachten. Oft ist es möglich eine Anzahl von Gründen vorauszusagen warum die Person sich in dieser Situation befindet, wenn man den Ort kennt, in dem sie ausgebeutet wird. Ein 15 Minütiger “Service” kostet zwischen 8.000 und 200.000 Pesos (3 bis etwa 85 Euro) und der Preis spiegelt den späteren Gebrauch des Geldes wieder. Zum einen zu Zwecken der Studienfinanzierung und zum anderen für Drogen wie Marihuana oder Kleber.
Ein anderer Faktor, der die KSAM vereinfacht ist der Fortschritt, den das Internet in den letzten Jahren gemacht hat. Viele der Jugendlichen haben Zugang zu Netz und hier finden sich unzählige Seiten zur Kontaktaufnahme mit den “Kunden” (erstaunlicherweise in vielen Fällen Facebook), dem Austausch pornografischen Materials welches sexuelle Handlungen von oder an Minderjährigen einschließt oder auch sogenannte Webcam Angebote (die zumeist Jugendlichen vollziehen sexuelle Handlungen am eigenen Körper entsprechend der Anweisungen des oft ausländischen Publikums).
An diesem Punkt wurde die Untersuchung der KSAM im Zusammenhang mit Reisen und Tourismus sehr schwer. Die zum Zwecke der Feldforschung eingerichteten Konten auf diversen Kontaktplattformen (z.B. GayRomeo, ManHunt, BogotáGay, Facebook) führten nur selten zu brauchbaren Ergebnissen. Was zu deutlich besseren Ergebnissen und auswertbaren Daten führte war die Suche nach und in Foren und Blogs die sich explizit an die Konsumenten von Prostitution wendeten. Detaillierte Informationen über verschieden Etablissements in der ganzen Stadt wie z.B. Anschrift, Anzahl der vorhandenen Frauen, Preise von Getränken und Services und Tagen und Uhrzeiten an denen man die beste Stimmung finden kann sowie Telefonnummern und Namen von Taxifahrern, die gegen ein Entgelt von meist um die 40.000 Pesos (17 Euro) pro Stunde eine Tour durch die verschiedenen Etablissements mit den Kunden machen sind ein hervorragendes Beispiel für den Austausch und die Verbindung zwischen den Konsumenten in der ganzen Welt. Der schnelle Zuwachs an diesen Formen der KSAM und immer weiter wachsende Austausch an Wissen entspringt dem einfach Grund, dass all dies möglich ist ohne seine Identität preiszugeben.
Während der Arbeit in den Zonen der Prostitution konnten wir immer wieder beobachten, dass mit dem sozialen Status und der speziellen Situation der Opfer bestimmte Probleme einhergehen. Das meiner Meinung nach größte Problem ist die Tatsache, dass viele der Jugendlichen (14-17 Jahre) und Heranwachsenden (18-21 Jahre) ihre Situation nicht als Problem verstehen oder nicht bemerken, dass sie sexuell ausgebeutet werden. Vor allem in der Homosexuellen-Szene kommt es öfter vor, dass die Jugendlichen bei ihren Klienten für 2-4 Wochen wohnen und der Sex mit Kleidung, technischen Geräten (z.B. Handys, IPods) und Einladungen in Szenebars oder Diskotheken bezahlt wird. Das es sich hierbei um einen Prozess der Verstraßung handelt entzieht sich der Kenntnis der Opfer. Personen, die ihre Situation nicht als Problem oder gefährlich ansehen lässt sich nur schwer helfen.
Des weiteren bewerten einige Mädchen/junge Frauen ihr Leben als “gut” aufgrund der Tatsache, dass sie in sehr teuren, exklusiven Etablissements “arbeiten”. Hierbei bekamen wir immer wieder zu hören, dass es sich um einen zeitlich begrenzten Job handelt und lediglich dazu dient das Studium zu finanzieren. Tatsache ist jedoch, dass nach dem Bachelor irgendwann der Master kommt und anschließend die Jobmöglichkeiten in Kolumbien immer noch begrenzt sind. Wenn man erstmal in dieser Situation ist und sich selbst nicht als Opfer, das Hilfe benötigt betrachtet wird man immer wieder in alte Muster zurückfallen (z.B. wenn man Arbeit hat, dass Einkommen aber nicht ausreicht, um sich den VW oder das schöne Appartement zu leisten).
Ein weiteres Problem, welches vor allem in den Etablissements niedrigerer sozialer Klassen existiert ist das Risiko Krankheiten, die durch Körperflüssigkeiten oder sexuelle Kontakte übertragen werden zu erwerben. Das Fehlen von ausreichendem Schutz und regelmäßigen ärztlichen Kontrollen sind hierbei als ausschlaggebend zu nennen.
Während unserer Arbeit im Feld sah ich mich immer wieder mit persönlichen oder ethischen Problemen konfrontiert. Niemals zuvor in meinem Leben hatte ich die Möglichkeit die Problematik der kommerziellen sexuellen Ausbeutung so intensiv in der Realität kennen zu lernen. Diese Konfrontation, gepaart mit der Tatsache, dass man zumindest während der verdeckten Arbeit keine Hilfe anbieten kann waren deutlich schwieriger (zu verarbeiten) als die eigentliche Arbeit im Feld.
Ein in der Praxis immer wieder auftretendes ethisches Problem ist, dass wir Minderjährige zum Trinken stark alkoholhaltiger Getränke einladen mussten. In vielen der Etablissements wird ein Minimalkonsum vorgeschrieben (z.B. eine halbe Flasche Rum oder Wodka). Für uns eine gute Möglichkeit die jüngste(n) der vorhandenen Personen einzuladen.
Andererseits habe ich verhältnismäßig viel über die Stadt im Allgemeinen und die KSAM in Bogotá im Speziellen gelernt. Dieses Wissen erleichtert es mir die Einzelsituation der Minderjährigen, welche sich in den Tageszentren oder Heimen der Fundación Renacer aufhalten zu verstehen und somit weiter offen zu sein.
Etwas anderes, das vor allem für mich als Ausländer interessant ist, war der Austausch mit anderen Menschen aus Europa oder Nordamerika. Der Vergleich zwischen verschiedenen persönlichen Motivationen komplettierte meine Wahrnehmung von Stadt und Menschen.

Zusammenfassend kann ich sagen, dass die Situationen in denen sich die Opfer sexueller kommerzieller Ausbeutung befinden gravierend sind. Das Fehlen von Alternativen und die unmittelbaren Risiken (neben psychologischen Faktoren wie Traumatisierung, sinkendes/fehlendes Selbstwertgefühl,...) machen die Situation äußerst gefährlich für Minderjährige. Der Tatsache geschuldet, dass die Arten der KSAM und die Einzelsituationen der Opfer eine große Bandbreite aufweisen ist es schwer eine Generalstrategie zur Bekämpfung kommerzieller sexueller Ausbeutung Minderjähriger zu entwickeln. In Bezug auf den Sextourismus im Allgemeinen ist es wichtig sich in Erinnerung zu rufen, dass solange es Nachfrage gibt auch das Angebot existieren wird. Was die Auslöschung der Nachfrage empfehlenswerter macht. Die spezielle Situation Bogotás, dass deutlich mehr Geschäftsreisende als Touristen die Stadt besuchen, erfordert jedoch eine stärkere Bekämpfung des Angebots und eine Sensibilisierung der Gesellschaft für die Problematik. Erfolgreich sind aber mit Sicherheit nur Strategien die eine Zusammenarbeit von Sendeländern und Empfangsländern der Touristen vorsehen.
Ich persönlich bin froh darüber in einem Projekt tätig zu sein, dass nicht nur Symptome behandelt, sondern versucht die Grundlage für die erfolgreiche Entwicklung von Strategien zur Bekämpfung kommerzieller sexueller Ausbeutung mit minderjährigen Opfern im Kontext von Reisen und Tourismus zu schaffen.

*aus Wikipedia der freien Enzyklopädie

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